Wer sich ein bisschen mit der Geschichte Chinas auskennt weiß, dass es neben den „normalen“ Provinzen auch einige speziell verwaltete Gebiete, wie beispielsweise Tibet, Xinjiang, Macau und Hong Kong, gibt. Ebenfalls dazu gehört die Insel Taiwan. Von der Volksrepublik China wird diese offiziell als 23. Provinz deklariert, streng gesehen ist die Republik Taiwan jedoch eher ein eigener Staat. Im Juni diesen Jahres konnte ich einen kleinen Einblick in das „liberale China“ bekommen und verstehe mittlerweile warum es bei vielen Chinesisch-Lernenden so beliebt ist. Wie immer möchte ich zunächst ein paar Hintergrundinformationen geben, bevor ich von meiner eigentlichen Reise erzähle.
Die Insel Taiwan liegt ungefähr 130 Kilometer vom chinesischen Festland, auf Höhe von Xiamen, Fujian entfernt. Sie ist ungefähr so groß wie Baden-Württemberg und besteht zu zwei Dritteln aus Gebirge. Außerdem befinden sich die meisten Städte entlang der Westküste. Historisch gesehen blieb Taiwan von den frühen chinesischen Dynastien größtenteils unbeachtet, jedoch erreichten 1583 die Portugiesen als erste Europäer die Insel. Aus dieser Zeit stammt auch der Spitzname „Ilha Formosa“. Anschließend wurde die Insel teilweise von Niederländern und Spaniern besetzt und 1644 schließlich Teil der chinesischen Qing-Dynastie. Mit dem ersten chinesisch-japanischen Krieg von 1894/95 musste Taiwan jedoch an Japan abgetreten werden, 1911 scheiterte schließlich auch die Qing-Dynastie. In den folgenden, politisch eher chaotischen Jahren bildeten sich zwei wichtige Lager heraus; das der Nationalen Volkspartei China (Kuomintang) und das der Kommunistischen Partei China (KPCh). Bis 1945 kämpften die beiden immer wieder gegeneinander und miteinander, beispielsweise um gemeinsam gegen die japanische Eroberung vorzugehen. Mit der Kapitulation Japans und Ausrufung der Volksrepublik China durch Mao Zedong, mussten sich die Nationalisten schließlich geschlagen geben und flohen unter der Führung von Chiang Kai-shek mit ungefähr 1,5 Millionen Anhängern auf die Insel Taiwan. Dort etablierte sich schließlich die Republik China. Als Folge der Ein-China-Politik, brachen viele Staaten nach und nach ihre diplomatischen Beziehungen zu Taiwan ab und bis heute wird die Republik China von nur 17 Staaten als unabhängiger Staat anerkannt. Die Ein-China-Politik ist eine von der Volksrepublik China verstandene politische Prämisse, dass es nur ein „China“ gibt. Neben dem von der Volksrepublik kontrollierten Festlandchina mit Macau und Hongkong, umfasst es auch das von der Republik China kontrollierte Taiwan. Alle Staaten, die diplomatische Beziehungen zur Volksrepublik China aufnehmen wollen, müssen diese Prämisse anerkennen. Der Taiwan-Konflikt ist ein sehr heikles Thema, da die Volksrepublik in Zukunft eine friedliche Widervereinigung, die Republik aber die Unabhängigkeit anstrebt.
Taiwan stand ursprünglich nicht ganz oben auf meiner Reiseliste, da ein Freund aus Chengdu aber Anfang des Jahres nach Taipei gezogen war und zuvor auch schon länger auf Taiwan gelebt hatte, musste ich die Chance auf einen persönlichen Guide, mit zusätzlich sehr guten Chinesischkenntnissen, natürlich nutzen. Von Chengdu aus ging es also über Xiamen nach Taipei, wo ich zwei Tage verbrachte. Die Hauptstadt liegt im Norden der Insel und ist mit ungefähr 2,6 Millionen Einwohnern auch gleichzeitig die größte Stadt Taiwans. Am ersten Tag machten wir zunächst eine kleine Tour durch Taipeis Altstadt und endeten schließlich am Longshan-Tempel (龙山寺). Der Tempel wurde 1738 von Siedlern aus Fujian, China erbaut und entspricht daher der traditionell chinesischen Tempelarchitektur. Außerdem zählt er zu den größten und ältesten Tempeln Taiwans. Anschließend ging es weiter zum Stadtzentrum Ximending (西门町), dieses Viertel wurde während der japanischen Kolonisationszeit als Freizeitbereich gegründet und wandelte sich im Laufe der Zeit zu einem Zentrum zu einer bunten Mischung aus Shoppingmöglichkeiten, Clubs, Bars, Straßenständen und Ausstellungen. Dort finden sich auch viele preiswerte westliche Restaurants. Im Anschluss liefen wir noch am Präsidentenpalast vorbei zur Nationalen Chiang-Kai-shek Gedächtnishalle.
Da ich an einem Samstag ankam, musste der Abend natürlich auch genutzt werden, um einen Einblick in das Nachtleben von Taipei zu bekommen. Denn die Hauptstadt Taiwans gilt gleichzeitig auch als „Gay Capital of Asia“ und nachdem es in Festland-China selbst unter heterosexuellen Paare kaum Körperkontakt in der Öffentlichkeit gibt, bekam ich an diesem Abend im Triangle Club mit einem Dragqueen Lip-Sync-Battle gleich das volle Programm.
Nachdem wir uns am nächsten Tag ausgeschlafen hatten, stand nur noch das Nationale Palastmuseum auf dem Programm. Dort befindet sich die weltweit größte Sammlung chinesischer Kunstwerke, die größtenteils aus der Verbotenen Stadt stammen und 1949 von den Nationalisten bei ihrer Flucht nach Taiwan mitgenommen wurden. Der Großteil der Sammlung besteht aus Jade, Porzellanwaren und Gemälden, eines der bekanntesten Exponate ist der sogenannte „Fleisch-Stein“ (肉形石). Anschließend fuhren wir noch zum Ningxia-Nachtmarkt, einer der vielen Nachtmärkte Taipeis.
Unser Plan war es eigentlich anschließend von Taipei aus über die Westküste in den Süden zum Kenting-Nationalpark zu reisen, jedoch machte uns die angehende Regenzeit leider einen Strich durch die Rechnung. Unser erster Stopp war Taichung (台中), die drittgrößte Stadt Taiwans. Taichung ist vor allem bekannt für den Fengjia-Nachtmarkt (逢甲夜市) und das Regebogen-Dorf (彩虹眷村). Dieses gehört mittlerweile mit über einer Millionen Besuchern pro Jahr zu den beliebtesten Fotospots auf Taiwan, jedoch ist die Bezeichnung Dorf wohl etwas übertrieben, tatsächlich gibt es nur eine Handvoll Häuschen. Bunt bemalt wurden sie von Huang Yong-Fu, nachdem er 2010 hörte, dass die Regierung plante sein Dorf abzureißen, begann er damit die Häuser zu bemalen. Sein Werk wurde später von Studenten der zwei umliegenden Universitäten entdeckt, die ihm auch dabei halfen das Dorf erhalten zu lassen.
Da es schon beim Besuch der Regenbogen-Dorfs angefangen hatte zu regnen und bis zum nächsten Tag auch nicht aufhörte, entschieden wir uns dazu nicht weiter in den Süden zu reisen sondern zurück nach Taipei und von dort aus an die Ostküste nach Hualien (花莲) zu fahren. Dort in der Nähe befindet sich auch der Taroko Nationalpark (太鲁阁国家公园), der während der japanischen Kolonialzeit errichtetet wurde und gleichzeitig auch der älteste Nationalpark Taiwans ist. Am bekanntesten ist wohl die Taroko-Schlucht, jedoch gibt es viele andere Sehenswürdigkeiten und Wanderpfade. Besonders interessierten uns jedoch die heißen Quellen, von denen wir in einem Reiseführer gelesen hatten. Vom Busbahnhof in Hualien fährt ungefähr jede halbe Stunde ein Bus für wenig Geld in den Nationalpark, an welcher Stelle man genau aussteigt kann man dann selbst entscheiden.
Am nächsten Tag fuhren wir mit dem Bus weiter an der Ostküste entlang, da die Straße direkt am Meer liegt hat schon vom Bus aus einen wunderschönen Ausblick. Wir stiegen dann schließlich an einem kleinen Dörfchen aus und liefen zu Fuß weiter an der Küste entlang. Dort gibt es nur wenige Touristen, man kann auf den Felsen umherklettern und den Ausblick aufs Meer genießen.
Abends fuhren wir schließlich wieder zurück nach Taipei. Für meinen letzten Tag war eigentlich noch ein Ausflug nach Jiufen (九份) geplant, einem kleinen Bergdorf im Norden Taiwans. Dieses wurde während der Qing-Dynastie gegründet und erlebte mit der Entdeckung von Gold durch die Japaner 1893 einen wahren Aufschwung. Viele Touristen werden durch die Mischung aus japanischer und chinesischer Kultur angelockt, in den kleinen Gassen finden sich Souvenirläden, Teehäuser und Cafés. Außerdem hat man von weiter oben einen guten Ausblick aufs Meer. Leider hatten wir mal wieder kein Glück mit dem Wetter und bei unserer Ankunft hat es angefangen wie aus Eimern zu regnen. Daher ging es auch gleich wieder mit dem nächsten Bus zurück und wir ließen den letzten Abend ruhig ausklingen.
Ich weiß, dass es vielen Taiwanesen sehr wichtig ist nicht als Chinesen bezeichnet zu werden, es lässt sich natürlich aber aufgrund der Geschichte nicht leugnen, dass beide Kulturen sehr nah beieinander liegen. Für mich hat sich Taiwan daher wie eine zweite Art von China angefühlt, denn man merkt in vielerlei Hinsicht schon den stärkeren westlichen Einfluss und eine offenere Denkweise der Taiwanesen. Am besten hat mir wohl die Nachtmarkt-Kultur gefallen, gerade beim Essen treffen dort viele verschiedene asiatische und westliche Einflüsse aufeinander und kreieren etwas einzigartiges und vor allem leckeres. Wem China eine Nummer zu groß ist, dem kann ich auf jeden Fall einen Besuch auf Taiwan empfehlen. Dort kann man alle Vorzüge der chinesischen Kultur erleben, ohne sich vielleicht gleich komplett verloren zu fühlen.
